
Das Wetter war mindestens so gut wie die Stimmung. Keine Wolke hing am Himmel über der Mülheimer Sporthalle, kein kritisches Wort trübte die Laune der SPD-Delegierten, die vor allem aus einem Grund an die Ruhr gekommen waren: um ihre Parteivorsitzende und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in ihrer Heimatstadt und ein bisschen auch sich selbst zu feiern.
Kraft, die völlig unangefochten an der Spitze des größten SPD-Landesverbands steht, gab in ihrer Grundsatzrede zur Eröffnung den Takt vor. Mit den Worten: „NRW geht es besser als vor einem Jahr“ und „Ich bin stolz auf das, was wir auf den Weg gebracht haben“, streichelte sie das Selbstwertgefühl der Basisvertreter. Und die Grünen, Koalitionspartner seit Juni 2010, bezog sie ebenso in die Lobeshymnen ein wie später Fraktionschef Norbert Römer. Die Zusammenarbeit sei immer „fair und vertrauensvoll“, im krassen Gegensatz zur Bundesregierung, einer „zerstrittenen Trümmertruppe, unter der unser Land leidet“.
Mit den bislang erzielten Ergebnissen der rot-grünen Koalition, der zur eigenen Mehrheit eine Stimme im Landtag fehlt und die deshalb immer auf die offene oder versteckte Unterstützung aus den drei Oppositionsfraktionen angewiesen ist, zeigte sich Kraft ausgesprochen zufrieden. Abschaffung der Studiengebühren, beitragsfreies letztes Kindergartenjahr, Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, mehr Geld für die Kommunen und Ausbau der Ganztagsbetreuung in Schulen und Kindergärten nennt sie als Meilensteine ihrer Erfolgsbilanz. Für den kurz vor der Sommerpause mit der CDU vereinbarten Schulkonsens und die Einführung einer neuen Sekundarschule sagte sie sogar ausdrücklich dem politischen Gegner „Dankeschön“.
Mit großem Nachdruck verteidigte Kraft den von ihr mit Leidenschaft verfolgten Ansatz einer sozialpräventiven Politik: „Vorsorge ist besser als Nachsorge.“ Ihre Regierung investiere in die Zukunft der Kinder, „das ist mindestens ebenso wichtig wie Investitionen in Straßen und Gebäude“. Ihr Besuch in Kanada Anfang September habe ihr noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig umfassende frühe Hilfen sind und dass sie sich auch wirtschaftlich lohnen. „Für jeden für diesen Zweck investierten Dollar erhält das Land 24 Dollar zurück“, rechnete sie den Delegierten vor.
Weil das mit dieser Rückzahlung wahrscheinlich noch dauert, nannte sie zusätzlich als eine zentrale Aufgabe ihrer Regierung die Konsolidierung des Haushalts: „Wir müssen runter von den Schulden!“ In diesem Jahr würden bereits 500 Millionen Euro eingespart, im nächsten noch mehr, „das ist kein Pappenstiel.“ Zugleich appellierte sie an den Bund, sich an den Bildungskosten zu beteiligen, vor allem bei der Inklusion behinderter Kinder.
Auf die Kanzlerkandidatendiskussion in der SPD ging Kraft, die auch stellvertretende Bundesvorsitzende ist, mit keinem Wort ein. Sie erwähnte nur kurz, dass Peer Steinbrück, von 2002 bis 2005 ihr Vorgänger, später Bundesfinanzminister und jetzt der am häufigsten genannte Favorit für die Rolle des Herausforderers, mit einer Sehnenverletzung auf dem Sofa sitze. Der Beifall für den Verletzten war freundlich, aber auch nicht mehr.
Im schwelenden Konflikt zwischen einigen Kommunen und dem Land über die Weitergabe der Beitragsfreiheit im letzten Kindergartenjahr an Eltern mit mehreren Kindern appellierte Krafts Stellvertreterin Ute Schäfer aus Lage, die Familienministerin, mit Nachdruck an die zahlreichen anwesenden Vertreter der Städte und Gemeinden, die Vorgaben der rot-grünen Koalition umzusetzen.
Schließlich erhielten sie als Ausgleich mehr Geld, als sie je von den Eltern der Kinder im letzten Jahr eingenommen hätten. Eine Antwort aus den Reihen der Kommunalpolitiker gab es nicht.
Im Rekordtempo wurden die Leitanträge des Parteivorstands zu den Themenfeldern Bildung, Wirtschafts- und Energiepolitik sowie Verkehrsinfrastruktur verabschiedet. Aus den Reihen der Delegierten gab es nur eine kritische Anmerkung: Nicht die Industrie, wie es im Antrag heiße, stehe im Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik, sondern der Mensch, monierte eine Kölnerin. Die Antragskommission gab ihr recht.
Ein gutes Jahr nach der Übernahme der Regierung in NRW haben sich die Sozialdemokraten zu einem Sonderparteitag in Mülheim/Ruhr getroffen. Warum, war ihnen selbst nicht richtig klar.
© 2011 Neue Westfälische
13 – Lübbecke (Altkreis), Montag 26. September 2011