Lassen Sie sich auch von der Linkspartei wählen, Frau Kraft?

SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft will nach der Landtagswahl am 9. Mai Nordrhein-Westfalen regieren. In BamS sagt sie, wie das gelingen soll und was ihre Familie dazu sagt
Bald Nordrhein-Westfalens „First Family“? Kraft mit Ehemann Udo und Sohn Jan (17)

Hannelore Kraft will nach der Landtagswahl am 9. Mai Nordrhein-Westfalen regieren. In BamS sagt sie, wie das gelingen soll und was ihre Familie dazu sagt.

BILD am SONNTAG: Frau Kraft, Sie sind 1994 – Helmut Kohl hatte gerade mal wieder eine Bundestagswahl gewonnen – in die SPD eingetreten. Warum?

Hannelore Kraft: Bestimmt nicht deswegen. 1994 ging meine Heimatstadt Mülheim als erste Ruhrgebietsstadt für die SPD verloren. Am Samstag vor der Wahl bin ich zum Stand der SPD gegangen und habe gesagt: Ihr verliert ja morgen die Wahl. Wenn ihr mich jetzt brauchen könnt, dann trete ich in die Partei ein.

Sie wollten also ganz schnell Karriere machen, was Ihnen ja auch gelungen ist . . .

Das war überhaupt nicht mein Ziel. 1994 war mein Sohn Jan ein Jahr alt. Ich war junge Mutter und wollte weiterarbeiten, doch es gab keine Kita-Plätze. Das hat mich geärgert. Als Volkswirtin und Unternehmensberaterin konnte ich sehen, dass unser Mittelstand immer mehr Probleme bekam. Daran wollte ich etwas ändern. Und ich wollte damals schon etwas gegen den neoliberalen Zeitgeist tun.

In fünf Wochen wird in NRW gewählt. Ihr Ziel ist es, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers abzulösen. Schaffen Sie das?

Ja! Denn wir haben eine klare Perspektive für dieses Land.

Die Wahl in NRW ist nicht zuletzt ein Duell zwischen Ihnen und der Kanzlerin . . .

So habe ich das noch gar nicht gesehen . . .

Wenn Sie gewinnen, verliert die Kanzlerin ihre Gestaltungsmacht. Verlieren Sie, geht die Herzkammer NRW auf lange Sicht verloren, und SPD-Chef Gabriel hat wieder mehr Zeit. Spornt Sie das an?

Es hilft mir im Wahlkampf. Wir sagen den Bürgern: Ihr könnt mit eurer Wahlentscheidung in NRW die Umsetzung des unsozialen Koalitionsvertrages von Schwarz-Gelb verhindern.

Wenn künftig wieder die SPD in NRW regiert, wird es weder die Steuersenkungen für Top-Verdiener noch die unsolidarische Kopfpauschale im Gesundheitssystem geben. Das werden wir stoppen.

Zur absoluten Mehrheit, die für die SPD an Rhein und Ruhr mal selbstverständlich war, wird es nicht reichen. Mit wem wollen Sie Rüttgers stürzen?

Wir wollen mit den Grünen regieren, weil wir mit ihnen die größten inhaltlichen Übereinstimmungen haben. Es gibt eine klare Wechselstimmung in NRW.

Nach allen Umfragen fehlen Rot-Grün einige Prozentpunkte für eine Mehrheit. Machen Sie zur Not auch Rot-Rot-Grün?

Wenn die SPD stärkste Kraft wird, reicht es auch für Rot-Grün.

Ansonsten holen Sie die Linkspartei dazu . . .

Die Linkspartei ist in NRW weder regierungsfähig noch will sie regieren.

Und wenn die Linkspartei nach dem 9. Mai einen Schnellkurs in Sachen Regierungsfähigkeit belegt, was machen Sie dann?

Das ist nicht mit einem Federstrich zu machen.

Die Linkspartei ist gerade dabei, sich ein Programm zuzulegen, das die Verstaatlichung von Großbanken und Großunternehmen vorsieht. Was bedeutet das für die Bündnisfähigkeit mit der SPD?

Dazu sage ich in aller Deutlichkeit: Ein Programm, das zum Beispiel die Verstaatlichung von Energieunternehmen oder anderer Konzerne vorsieht, ist mit der SPD nicht zu machen.

Rüttgers spricht Ihnen die persönliche Integrität ab, wenn er sagt: „Frau Kraft ist nicht ehrlich, nicht verlässlich.“

Das zeigt doch nur, wie angeschlagen er politisch ist.

Wie zerrüttet ist Ihr persönliches Verhältnis?

Wir sind beide Profis, wir können das, was zu regeln ist, schon miteinander verabreden.

Was halten Sie menschlich von ihm?

Wie viele Menschen in diesem Land weiß ich nicht, was er wirklich will und wer er ist. Herr Rüttgers nimmt immer Rollen ein. Das macht es schwierig.

Positionswechsel müssten Sie als SPD-Vize doch kennen. Seit Neuestem tritt Ihre Partei dafür ein, das Arbeitslosengeld I unter bestimmten Voraussetzungen deutlich länger zu zahlen. Reicht das, um die verprellten Wähler und Mitglieder zurückzugewinnen?

Für mich ist das entscheidende Signal der SPD: Stopp auf dem Weg in die Dumpinglohngesellschaft. Die Zunahme von Armutslöhnen ist eine Katastrophe für Deutschland. Und wir wollen Schluss damit machen, alle Langzeitarbeitslosen über einen Kamm zu scheren. Natürlich gibt es Missbrauch. Die Instrumente, dagegen vorzugehen, sind auch vorhanden. Die Hartz-IV-Empfänger dürfen aber nicht pauschal von Herrn Westerwelle beschimpft werden, denn ganz viele wollen arbeiten. Wir fordern: Wer sich qualifiziert, muss länger Arbeitslosengeld I bekommen. Und wer wegen kaum überwindbarer Vermittlungshemmnisse keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt hat, dem wollen wir ein freiwilliges Angebot auf einem sozialen Arbeitsmarkt machen – als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die oberhalb von Ein-Euro-Jobs bezahlt wird. Da werde ich nicht lockerlassen.

Angela Merkel hat vor zehn Jahren den Vorsitz der CDU übernommen und ist demnächst fünf Jahre Kanzlerin. Ein Vorbild für Sie?

Als erste Kanzlerin hat sie schon Wichtiges geleistet für Frauen in der Politik. Aber für mich ist sie kein Vorbild. Dafür sind wir vom Frauenbild zu unterschiedlich.

Es gibt aber auch Parallelen. So hat Merkel die CDU übernommen, als sie am Boden lag. Bei Ihnen war das mit der NRW-SPD ähnlich. Kommen Frauen erst an die Spitze, wenn Männer alles in Trümmer gelegt haben?

Oh Gott, wie pathetisch. Aber vielleicht besteht da ein Zusammenhang. Ich glaube, dass eine Quote für Führungsgremien uns weiterbringen würde.

Warum?

Weil es dann normal wird, dass Chefs auch Frauen sind. Frauen wollen oft keine Spitzenjobs, weil sie sich dafür in eine Männerwelt begeben müssen. Die Rituale in den Chefetagen sind männlich. Frauen haben die Sorge, in solchen Jobs ihre Weiblichkeit einschränken zu müssen. Mit allen negativen Folgen fürs Privatleben und ihren Beziehungen zu Männern.

Was meinen Sie genau?

Wenn ich führe, muss ich auch in der Lage sein, auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Jetzt ist Schicht im Schacht! Das ist eher männliches Verhalten. Deshalb schrecken selbst gute Frauen manchmal vor der ganz großen Karriere zurück. Es ist wichtig, dass Frauen erleben, dass sie trotz Karriere Frau bleiben können.

Wie ist das bei Ihnen: Was macht Ihr Mann?

Udo ist Elektroinstallationsmeister. Er plant und überwacht Bau- und Sanierungsprojekte.

Bei Ihrem Job ist er für Sohn, Hund, Haus verantwortlich?

Nebenberuflich schafft er den Haushalt, versorgt Sohn und Hund. Aber früher war das umgekehrt. Mein Mann hatte einen eigenen Betrieb, da richtete sich alles nach seinem Beruf. Er war viel unterwegs. Als unser Sohn klein war, habe ich immer gesagt: Ich bin alleinerziehend mit Wochenendbesuch.

Wie schwer fiel der Rollentausch?

Am Anfang war das nicht leicht, gerade für Udo. In seinem Freundeskreis war es sehr ungewöhnlich, dass sich der Mann auch um den Haushalt kümmert. Mittlerweile ist das völlig normal, heute genießen unsere Freunde seine Kochkünste.

Kocht er besser als Sie?

Ich kann auch gut kochen. Er nach Kochbuch, ich nach Gefühl. Ich komme aber nicht mehr oft dazu.