
Abschiede sehen anders aus, denn: Lothar Ibrügger wird regelrecht gefeiert. Er erhält stehende Ovationen – und bestenfalls herrscht ein bisschen Wehmut, dass eine Ära vorbei ist.
33 Jahre saß er für die SPD im Bundestag. Neun Mal gewann der Mindener sein Direktmandat. Ibrügger war Mitglied im Europäischen Parlament, parlamentarischer Staatssekretär und noch vieles mehr. "Und du hast in dieser Zeit rund 7500 Besucher aus deinem Wahlkreis in Bonn und Berlin empfangen", sagt Landtagsabgeordnete Inge Howe.
Samstagmittag ehrt die Mühlenkreis-SPD ihr "Aushängeschild" mit einer Feierstunde im Ständersaal des Preußen-Museums. Jede Menge politische Weggefährten sind dabei – und es fallen mehr als nur lobende Worte. "Du bist uns vor allem ein Freund", sagt Howe, die damit die Gäste zu einem donnernden Applaus hinreißt.
Im Minden-Lübbecker Land schätzt man Lothar Ibrügger als bodenständigen Politiker, der sich um die lokalen Themen kümmert und der anpacken kann. Dass der SPD-Mann als Mitglied der parlamentarischen Versammlung der NATO (er bleibt dort weiter tätig) ein ausgewiesener Verteidigungsexperte ist, fiel zumindest in seinem Wahlbezirk nie allzu groß auf. Dr. Christoph Zöpel rückt die Kompetenzen seines Parteifreunds ins rechte Licht – und liest zum Beweis aus einem früheren Beitrag Ibrüggers über Nanotechnologie vor. "Damit wissen hier sicher die wenigsten etwas anzufangen."
Zöpel, der unter anderem von 1999 bis 2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt war, hält nicht nur eine Laudatio. Er spricht allgemein über das Amt eines Abgeordneten – und bezieht glasklare Positionen. "Wer in einem Parlament sitzt, sollte ruhig nebenbei einem Beruf nachgehen", sagt der 66-Jährige. Das würde den Blick über den Tellerrand erleichtern. Er sieht in der Kontrolle das Wichtigste, was ein Abgeordneter ausüben kann und: "Opposition bedeutet auch, dass die Gewaltenteilung funktioniert", spricht Zöpel, der Ibrügger noch aus seiner Schulzeit am heutigen Mindener Ratsgymnasium kennt.
Der Bochumer würdigt den "Mann des Tages" als einen Vollblutpolitiker, dessen Arbeit unzählige Dinge positiv bewirkt hat. Er wagt Prognosen, denn: In Zukunft werde Ibrügger viel mehr Freiheiten haben als in seiner Abgeordnetenzeit. "Kein Ortsverein kann dich mehr dazu drängen, ihn zu besuchen", sagt Zöpel in Anspielung auf den in der Öffentlichkeit zu wenig bekannten Terminstress im Wechselspiel zwischen Berlin und Wahlbezirk. "Und du wirst sehen, dass es gar nicht so schlimm ist, nicht mehr überall eingeladen zu werden."
Die meisten Termine mit dem Fahrrad erledigt
Dass sich Lothar Ibrügger immer treu geblieben ist, stellt Landrat Dr. Ralf Niermann heraus. Als Mandatsträger sei der gelernte Stadtplaner, der als bekennender Fahrradfan die meisten Termine im Wahlbezirk auf zwei Rädern erreichte, jederzeit ansprechbar gewesen. Ibrügger sei es auch gewesen, der ihn in der Adventszeit vor vier Jahren dazu ermuntert habe, als Landratskandidat ins letztlich erfolgreiche Rennen zu gehen. "Du bist sicherlich die wichtigste Person in meinem beruflichen Leben."
Als Lothar Ibrügger zum Schluss das Wort ergreift, zeigt er sich bewegt von den vielen positiven Worten. "Das ist heute auch kein Abschied", stellt er im voll besetzten Saal deutlich heraus. Und seine Worte wirken nicht wie die eines Ruheständlers. Er macht seinen Parteifreunden Mut, sich schon bald wieder aus ihrer Oppositionsrolle in Berlin befreien zu können.
So sehr Ibrügger auch in die Zukunft schaut: Ganz ohne Rückblicke geht es dann doch nicht. Ibrügger spricht über seine Zeiten mit Herbert Wehner, Helmut Schmidt und seinem Freund Johannes Rau. Von ihnen habe er viel gelernt. Er sieht im gegenseitigen Respektieren unterschiedlicher Standpunkte ein Stück Kultur und: Vernünftige Diskussionen seien für eine erfolgreiche Arbeit unerlässlich. "Denn der Vernunft zum Durchbruch verhelfen, das kann nur die Politik."
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Dokument erstellt am 30.11.2009 um 02:25:23 Uhr